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Zwei Generationen im Gespräch: Über Karrierewege, Wissenschaftsdiplomatie und Europas Zukunft

Anlässlich des Treffens der Jungen Akademien Europas in Bern sprechen Yves Flückiger, Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz, und Lucas Müller, ehemaliger Sprecher der Jungen Akademie Schweiz, über Wissenschaftsdiplomatie, instabile Karrierewege und die Frage, wie sich das Wissenschaftssystem europäisch vernetzt und zukunftsfähig gestalten lässt.

Interview: Astrid Tomczak-Plewka

Wir befinden uns hier auf der Tagung der Nationalen Jungen Akademien Europas (ENYA), die dem Thema Wissenschaftsdiplomatie gewidmet ist. In der Wissenschaftsdiplomatie geht es nicht nur um internationale Kooperation, sondern auch um die Rolle der Wissenschaft in einer zunehmend fragmentierten Welt. Herr Flückiger, warum ist Wissenschaftsdiplomatie gerade jetzt so wichtig?

Yves Flückiger: Die Entwicklungen der letzten Jahre – etwa die Covid-Pandemie oder geopolitische Spannungen – zeigen deutlich, dass unsere Gesellschaften vor grossen Herausforderungen stehen. Die Wissenschaft kann dazu beitragen, Lösungen zu entwickeln und politische Entscheidungen faktenbasiert zu unterstützen. Ich denke, die Rolle der Wissenschaft im Dialog mit Gesellschaft, Politik und Diplomatie ist heute sichtbarer denn je geworden. Besonders auffällig finde ich, dass viele junge Forschende ein starkes Bedürfnis haben, sich an Lösungsprozessen aktiv zu beteiligen. Das ist ein Hoffnungsschimmer.

Herr Müller, teilen Sie diese Einschätzung?

Lucas Müller: Ja, ich sehe das ähnlich. Gerade weil die Wissenschaft einen universellen Anspruch hat, ist es wichtig, dass sie sich global vernetzt und verschiedene Perspektiven zusammenträgt. Dabei geht es nicht nur um wissenschaftlichen Austausch, sondern auch um den Beitrag zur Global Governance. Politische und ökonomische Realitäten sind allerdings je nach Region unterschiedlich, also müssen wir gemeinsam das Spannungsfeld zwischen ihrem universellen Anspruch und der politischen Realität ausloten.

Ist die internationale Ausrichtung der Wissenschaft also per se schon ein Beitrag zur Verständigung?

Yves Flückiger: Ich denke schon. Wissenschaft ist heute mehr denn je kollaborativ und international. Diese Offenheit fördert das Verständnis zwischen Ländern und Kulturen. Gleichzeitig sehe ich, dass gerade jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler es schwer haben, sich öffentlich zu äussern – etwa zu Klimafragen oder kontroversen Themen. Sie fürchten, dass sich das negativ auf ihre Karriere auswirken könnte. Das ist ein echtes Spannungsfeld.

Lucas Müller: Nicht unbedingt. Viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler haben internationale Lebensläufe. Sie studieren in einem Land, promovieren in einem anderen und sind in internationale Projekte eingebunden. Wenn sie aber dann im einem nationalen Kontext agieren wollen, stossen sie auf Hürden, weil sie nicht lokal verankert sind oder das lokale politische System nicht verstehen. Gleichzeitig gibt es aber ein starkes Bedürfnis, sich öffentlich zu engagieren, angesichts von Klimawandel oder sozialer Ungerechtigkeit.

Spüren Sie diese Zurückhaltung auch bei sich selbst?

Lucas Müller: Bei mir persönlich nicht so stark, aber ich sehe Kolleginnen und Kollegen, die sich bewusst zurückhalten – aus Angst vor einem Shitstorm oder weil sie ihre Karriere nicht gefährden wollen. Die Polarisierung in vielen Gesellschaften verstärkt diese Tendenz. Dabei stellt sich auch die Frage, welchen Schutz Institutionen bieten, wenn Forschende angegriffen werden.

Yves Flückiger: Ich erinnere mich an meine eigenen Erfahrungen mit heiklen arbeitsmarktpolitischen Studien. Oft wurde nicht die Methodik kritisiert, sondern das Ergebnis – wenn es nicht ins politische Weltbild passte. Das zeigt, wie wichtig es ist, zwischen wissenschaftlicher Aussage und politischer Interpretation zu unterscheiden. Gleichzeitig braucht es institutionellen Schutz für Forschende, damit sie sich frei äussern können.

Ein weiteres Thema, das viele junge Forschende betrifft, ist die schwierige Lage im Mittelbau. Herr Müller, was sind aus Ihrer Sicht die grössten Probleme?

Lucas Müller: Das Hauptproblem ist, dass die Karrierepyramide im Wissenschaftsbetrieb unten sehr breit und oben extrem schmal ist – und die Auswahl für feste Stellen viel zu spät erfolgt– oft erst mit Mitte 40. Bis dahin hangeln sich viele durch befristete Verträge. Das kostet viel Energie, etwa für Bewerbungen oder Drittmittelakquise. Diese Ineffizienz ist systemisch. Dabei wäre es sinnvoller, schon früher zu entscheiden, ob jemand auf eine unbefristete Stelle passt. Das würde es ermöglichen, sich lokal und politisch zu verankern, statt nur zu pendeln.

Was bedeutet das für Universitätsstandorte?

Lucas Müller: Sie verlieren viel informelles Wissen, weil sich junge Forschende nicht an der Universität und in der lokalen Zivilgesellschaft engagieren. Wer keine Perspektive hat, investiert auch nicht in lokale Netzwerke.

Ich erinnere mich, dass wir schon vor ein paar Jahren genau über diese Thematik gesprochen haben. Hat sich die Lage nicht verbessert?

Lucas Müller: Eher verschärft. Mit den Budgetkürzungen auf Bundes- und Kantonsebene, etwa in Fribourg und Genf, wird der Druck noch grösser. Und statt flächendeckend in gute Arbeitsbedingungen für gute Wissenschaft zu investieren, werden einzelne Leuchtturmprojekte wie Exzellenz-Chairs geschaffen – das ist ein fatales Signal für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Yves Flückiger: Als ich noch Rektor an der Universität Genf war, haben wir versucht, systematisch zu überlegen, wie der akademische Nachwuchs besser unterstützt werden kann. Aber das ist nicht umsonst – unser Programm in Genf hat insgesamt fast sechs Millionen Franken gekostet, eine Budgeterhöhung, die sich über drei Jahre verteilt hat. Auf nationaler Ebene habe ich den Eindruck, dass vielerorts die Bereitschaft fehlt, echte Veränderungen anzugehen.

Was antworten Sie Studierenden, die sich fragen, ob sich eine akademische Karriere überhaupt lohnt?

Lucas Müller: Ich sage ihnen: Wenn ihr ein echtes inneres Bedürfnis spürt, dann macht es. Aber nicht aus einer Laune heraus oder weil keine andere Option greifbar scheint. Viele sehr talentierte Leute entscheiden sich inzwischen gegen die Wissenschaft, und das ist ein großer Verlust für die Institutionen.

Yves Flückiger: Es braucht gute Arbeitsbedingungen für Doktorierende, Vertrauen und eine faire Betreuung. Ein Betreuer sollte nicht 20 Dissertationen gleichzeitig begleiten. Das ist unverantwortlich.

Sind Professorinnen und Professoren denn überhaupt für Führung geschult?

Yves Flückiger: Nein. Die meisten haben keine Management-Ausbildung. Sie sind für ihre Forschung exzellent, aber nicht unbedingt führungskompetent. Es wäre wünschenswert, die Zunahme prekärer Stellen für wissenschaftliche Assistentinnen und Assistenten sowie Doktorierende (mit sehr kleinen Pensen oder schlechter Bezahlung) zu vermeiden und den Schwerpunkt auf die Qualität der Betreuung sowie auf angemessene Arbeitsverhältnisse der Doktorierenden zu legen.

Lucas Müller: Oft nicht. Ausserdem befördert dieses sehr hierarchische System Interessenkonflikte, und viele Professoren haben ihre Karriere in eben diesem System gemacht.

Yves Flückiger: Ja, viele argumentieren damit, dass sie sich auch behaupten mussten. Aber die Konkurrenz um Stellen ist heute viel grösser als früher.

Besteht Hoffnung auf Wandel durch einen Generationenwechsel?

Lucas Müller: Ich bin skeptisch. Denn das akademische System selektiert hart, und viele talentierte Leute gehen früh verloren. Das hat langfristige Folgen für die Reformierbarkeit des Systems aber auch dessen generelle Innovationskraft.

Was müsste passieren?

Lucas Müller: Man könnte über neue Modelle nachdenken, etwa Professuren ohne festen Assistenzapparat, und dafür mehr unbefristete Positionen, die sich auch die Aufgaben in Lehre und Verwaltung besser teilen. Aber dazu braucht es den politischen Willen.

Wenn es um die Verbindung zur Politik geht, sind inbesondere die Akademien gefragt. Welche Rolle können sie spielen?

Yves Flückiger: Eine wichtige. Als Akademien sprechen wir für das gesamte System und die darin engagierten Menschen, anders als swissuniversities, die Institutionen zusammenschliessen. Wir könnten zum Beispiel mit einer Gruppe ein White Paper erarbeiten, wie eine ideale Universität und Karriere aussehen könnten. Es fehlt bisher an einer gemeinsamen Vision. Ich bin dankbar, dass wir mit der Jungen Akademie eine Plattform haben, die Ideen einbringen kann.

Lucas Müller: Genau, in den letzten Jahren haben wir viele Ideen gesammelt, nun wäre es an der Zeit diese in einer Vision zu bündeln, auch wenn es unbequem ist.

Zum Schluss: Wenn Sie beide ein gemeinsames Projekt starten könnten, das internationale Kooperation und faire Karrierewege verbindet – wie würde das aussehen?

Lucas Müller: Die Wissenschaft ist internationalisiert, aber national finanziert. Daraus entstehen Spannungen, die sich auch in den Angriffen auf Wissenschaft in vielen Ländern niederschlagen. Wir müssten grundsätzlich über die Rolle der Wissenschaft zwischen globalem Anspruch und nationaler Verantwortung nachdenken.

Yves Flückiger: Ich würde ein Projekt vorschlagen, das den europäischen Kontext stärkt und gemeinsame Werte betont. Die Akademien könnten dank ihrer überinstitutionellen Ausrichtung eine zentrale Rolle spielen. Leider sehe ich oft, wie stark das Denken in institutionellen Silos verankert ist. Doch gerade in Krisenzeiten ist Zusammenarbeit entscheidend.

Lucas Müller: Genau, so könnte Wissenschaft auch zum Modell in Krisenzeiten werden.


Zu den Gesprächspartnern:

Yves Flückiger ist Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz, a+. Vor diesem Engagement war er Rektor der Universität Genf.

Lucas Müller ist Mitglied der Jungen Akademie Schweiz und war von Juni 2021 bis Juni 2022 ihr zweiter Sprecher. Er ist Senior Research Associate am Institut für Geographie und Umwelt der Universität Genf.

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