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Junge Akademie Schweiz JAS
Ihr Rat lautet: Stadtplanung gegen Pollen
Die Umweltepidemiologin Marloes Eeftens – Mitglied der Jungen Akademie – hat erstmals nachgewiesen, dass Pollenallergien die Gesundheit stärker belasten als angenommen. Im Porträt erklärt sie, was sie antreibt und warum Pollen zu einem Thema der öffentlichen Gesundheit werden sollten.

Autorin: Susanne Wenger
Marloes Eeftens – ihr niederländischer Vorname wird «Marlus» ausgesprochen – spürt den Frühling an zwei Dingen. Erstens: Sie selbst reagiert allergisch auf Hasel-, Birken- und Gräserpollen. Die Nase läuft, die Augen jucken, und sie ist müder als sonst. «An besonders belasteten Tagen sage ich Verabredungen im Freien ab», erzählt sie. Zweitens: Medienschaffende melden sich und stellen Fragen. Denn Eeftens ist eine führende Pollenforscherin, wie das Schweizer Fernsehen sie nannte. Die 40-jährige Umweltepidemiologin leitet eine mehrjährige Studie am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in Allschwil bei Basel.
Eeftens und ihr Team untersuchen, wie Pollen von Bäumen, Gräsern und Kräutern die Gesundheit der Bevölkerung in der Schweiz beeinflussen. Das 2020 gestartete, von der EU mitfinanzierte Projekt nennt sich Epochal-Studie – ein Akronym des englischen Titels «Effects of Pollen on Cardiorespiratory Health and Allergies». Der Kurzname klingt wie ein Programm: Wir leben in einer Zeit, in der Allergien aller Art massiv zunehmen. So auch die Pollenallergien. Vor 100 Jahren war weniger als ein Prozent der Schweizer Bevölkerung davon betroffen. Heute reagiert laut Schätzungen jede, jeder Fünfte in der Schweiz auf mindestens eine Pollenart allergisch – fast 1,8 Millionen Menschen.
Erhöhter Blutdruck
«Doch Pollen sind kaum erforscht und gelten nicht als Thema der öffentlichen Gesundheit», sagt Eeftens. Anders als bei Feinstaub, Lärm oder elektromagnetischer Strahlung gibt es für Pollen keine Grenzwerte. «Wir wissen weder, ab welcher Konzentration Pollen schaden, noch kennen wir alle Folgen», erklärt sie. Klar: Pflanzen setzen Pollen natürlich frei. Doch ähnlich wie menschengemachte Umwelteinflüsse können Pollen vielfältige Auswirkungen auf die Gesundheit haben, sagt Eeftens. Die Haltung, Allergikerinnen und Allergiker müssten ihre chronische Erkrankung einfach hinnehmen, hält sie für falsch.
Mit ihrem Team untersuchte sie das Problem genauer – und fand erstmals heraus, was Forschende bisher nur vermuteten: Eine Pollenallergie geht über die bekannten saisonalen und lästigen Symptome wie Niesattacken und gereizte Augen hinaus. Pollen beeinflussen auch das Herz-Kreislauf-System. In einer 2024 veröffentlichten Teilstudie mit rund 400 Teilnehmenden aus der Region Basel stieg bei Allergikerinnen und Allergikern der Blutdruck an, wenn sie Pollen ausgesetzt waren. Bei Teilnehmenden ohne Allergie machten die Pollen keinen Unterschied.
«Ich wünsche mir ein Umdenken»
«Schon geringe Pollenkonzentrationen wirkten sich auf den Blutdruck aus, und der Effekt nahm mit wachsender Konzentration zu», sagt Eeftens. Frauen und übergewichtige Personen waren stärker betroffen. Zwar blieb der Anstieg «eher klein». Doch weil so viele Menschen eine Pollenallergie haben, kann er die öffentliche Gesundheit laut der Forscherin «stark belasten». Andere Studien zeigten zudem, dass hohe Pollenkonzentrationen mit mehr Spitaleinweisungen einhergehen.
Fest steht: Bluthochdruck ist ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall. «Ich wünsche mir ein Umdenken», sagt Eeftens angesichts der neuen Erkenntnisse. Pollenallergien seien kein individuelles Problem, Prävention dürfe nicht allein bei den Betroffenen liegen. Es brauche öffentliche Massnahmen. Chancen bietet die Stadtplanung: Viele Schweizer Städte wollen deutlich mehr Bäume pflanzen, um Schatten gegen die vermehrten Hitzewellen zu schaffen. «Wichtig ist, nun nicht überall hochallergene, aber oft verwendete Bäume wie Birken zu setzen», betont Eeftens. Dies fördere auch die Artenvielfalt.
Akademische Arbeit «macht Freude»
Marloes Eeftens spricht lebendig und anschaulich über ihre Forschung. Sie kam vor zwölf Jahren als Postdoc von den Niederlanden ans Swiss TPH. Pollen waren für sie Neuland, als sie mit der Epochal-Studie anfing. Davor befasste sie sich mit der Luftqualität und Mobilfunkstrahlung. In ihrer Dissertation an der Universität Utrecht hatte sie die Folgen von Luftverschmutzung auf Kinderlungen untersucht. «Ich tauche gern in neue Forschungsgebiete ein», sagt sie. Eeftens wuchs in einem kleinen Dorf bei Breda im Süden der Niederlande auf. «Es gab viel Karneval, viele Erdbeeren», erzählt sie. In ihrem ersten Job setzte sie Lauch: «Der Gestank war furchtbar», erinnert sie sich lachend.
Eeftens lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern (13 und 10 Jahre) am Stadtrand von Basel. Sie spricht mittlerweile sehr gut Deutsch – ein Vorteil im laufenden Einbürgerungsverfahren. Die Sprachenvielfalt der Schweiz gefällt ihr, ebenso das internationale Umfeld am Tropen- und Public-Health-Institut mit 1000 Mitarbeitenden aus 96 Nationen. Als Assistenzprofessorin an der Universität Basel führt sie Studierende in die Umweltepidemiologie ein.
«Die akademische Arbeit macht mir Freude», sagt sie. Dass eine Hochschullaufbahn permanenten Einsatz verlangt und man immer wieder Mittel beschaffen muss, gehöre dazu. Wenn etwas typisch niederländisch an ihr ist, dann Pragmatismus, sagt sie. Ihr Mann, selbst Forscher und inzwischen selbständig, kennt die Anforderungen und unterstützt ihre Pläne: «Das schätze ich sehr.» In der Jungen Akademie, der Eeftens seit 2020 angehört, tauscht sie sich gern mit Forschenden aus verschiedenen Disziplinen aus. «Das ist bereichernd.»
Aufklärung ist nötig
Aktuell wertet Eeftens weitere Daten der Epochal-Studie aus. Die Forschenden erhoben neben dem Blutdruck auch die Herzfrequenz-Variabilität, die Lungenfunktion, Atemwegsentzündungen und die kognitive Leistungsfähigkeit. Sie erfassten zudem das allgemeine Wohlbefinden. Um mehr Daten zu gewinnen, setzt Eeftens auf digitale Technik. Mit «aha! Allergiezentrum Schweiz» entwickelt sie eine App, in der Betroffene ihre Symptome eintragen. «So können wir Zusammenhänge mit der Pollenkonzentrationen besser verstehen», sagt sie. Ausserdem erarbeitete sie ein Modell, das die räumliche und zeitliche Verteilung des Pollenflugs abbildet. Es nutzt das Messnetz von Meteo Schweiz. «Damit wissen wir rückwirkend, wie stark Menschen an einem bestimmten Tag exponiert waren.»
Pollen werden Marloes Eeftens also noch länger beschäftigen – aus gutem Grund. Wegen der Klimaerwärmung beginnt die Pollensaison in der Schweiz früher und verläuft intensiver als noch vor 30 Jahren. «Dies verstärkt das Leiden von Menschen mit Pollenallergien», sagt sie. Es bleibt viel Aufklärungsarbeit. Eeftens zeigt durchs Fenster auf eine Baustelle nahe ihres Arbeitsplatzes im modernen «BaseLink»-Areal mit vielen Life-Science-Unternehmen. Bei einem entstehenden Gebäude wurden 20 Birken gepflanzt. «Birkenpollen gehören zu den stärksten Allergenen – neben Erle, Esche, Hasel, Gräsern, Beifuss und Ambrosia», warnt sie und fügt an: «Mit besseren Kenntnissen über allergene Pflanzenarten und einer klugen Gestaltung der Umwelt könnten wir viel mehr für die Prävention tun.»
Marloes Eeftens, Jahrgang 1984, wuchs in den Niederlanden auf. Sie studierte Umweltwissenschaften in Nijmegen und machte ihren Master in Toxikologie und Umweltgesundheit in Utrecht, wo sie auch promovierte. 2013 wechselte sie ans Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut in Basel, wo sie heute die Gruppe Sensorik und Umweltepidemiologie leitet. Seit 2020 ist sie Assistenzprofessorin der Universität Basel. Im gleichen Jahr erhielt sie für die Epochal-Pollenstudie einen «Starting Grant» des Europäischen Forschungsrats, eine Anschubfinanzierung für talentierte Forschende am Beginn ihrer Laufbahn.