Die Junge Akademie Schweiz vernetzt Nachwuchsforschende aus verschiedensten Wissenschaftsbereichen und bildet ein inspirierendes Umfeld für inter- und transdisziplinäre Begegnungen und innovative Ideen. Die Mitglieder sind Ansprechpartner:innen für die Schweizer Wissenschaft und gelten als die junge Stimme der Akademien der Wissenschaften Schweiz. Mehr

Blog

Junge Akademie Schweiz JAS

Denken über Disziplinen hinaus

Die Chemikerin Jovana V. Milić hat sich schon früh in ihrer Karriere für verschiedene Disziplinen interessiert und diese miteinander verbunden. Als Wissenschaftlerin setzt sie sich für mehr Interdisziplinarität ein und engagiert sich unter anderem in der Jungen Akademie Schweiz für Wissenschaftspolitik und -diplomatie.

Autorin: Céline Jenni

Die Begeisterung, die Jovana Milić versprüht, wenn sie über ihre Projekte und Engagements spricht, ist sogar in einem Video-Call spürbar. Die Forscherin ist zum Zeitpunkt des Interviews gerade in Finnland, wo sie seit 2024 als ausserordentliche Professorin an der Universität Turku tätig ist und die «Smart Energy Materials Group» leitet. «Als Kind habe ich den Wunsch geäussert, dass ich am liebsten für immer in die Schule gehen möchte», erzählt Jovana Milić lachend, «und das habe ich als Professorin irgendwie auch erreicht.» Sie habe schon immer diese Leidenschaft fürs Lernen, Lesen und Schreiben verspürt. Ihre Eltern unterstützten die Passion, die Milić für die Schule hegte. Aufgewachsen ist Milić in einem Haushalt mit hunderten Bienenstöcken. «Die Natur und insbesondere Bienen und ihre Interaktionen haben mich schon immer fasziniert und ich habe oft darüber nachgedacht, welche Auswirkungen Bienen auf unsere Umwelt und unser Leben haben», erzählt Milić. Dieses Nachdenken über die Natur und wie Dinge funktionieren, hat Milić auf ihrem Weg geprägt.

Doch die Wissenschaftlerin hat nichts gemein mit dem klassischen Bild eines Forschenden, der etwas eigenbrötlerisch, verschroben und leicht chaotisch alleine an genialen Erfindungen tüftelt. «Wissenschaft ist eine gemeinsame Leistung und es braucht Interdisziplinarität, um die globalen Herausforderungen zu bewältigen», sagt Milić. Zusammen mit ihrem Forschungsteam – bestehend aus Chemiker:innen, Materialwissenschaftler:innen, Physiker:innen und Ingenieur:innen – untersucht und entwickelt sie neue Materialien zum Beispiel für photovoltaische Geräte (Solarzellen) und gehirninspirierte Computersysteme. Besonders interessiert ist sie an sogenannten «smart materials», Materialien, die sich verschiedenen Umgebungen anpassen und dabei ihre Eigenschaften ändern. «Wir versuchen zum Beispiel «smarte» Solarzellen zu entwickeln, die sich dem natürlichen Tages- und Nachtrhythmus auf der Erde anpassen. Dadurch könnten sich die Zellen während der Nacht regenerieren und so länger effiziente Leistung erbringen», erklärt Milić.

Fokus auf Interdisziplinarität

Das Chemiestudium war für Milić die intuitiv richtige Entscheidung, obwohl sie sich auch für viele andere Naturwissenschaften, insbesondere Physik und Elektronik, interessierte: «Chemie ist ein wichtiges Gebiet an der Schnittstelle vieler Disziplinen», sagt Milić. Dass es fächerübergreifendes Denken brauche, um die grossen Probleme der heutigen Zeit zu lösen, sei zwar unbestritten. Dennoch gebe es viel zu wenige internationale Programme, die jungen Studierenden ermöglichen, interdisziplinär zu lernen und zu forschen. «Die interdisziplinäre Perspektive kommt meist erst in einem späten Stadium der Karriere», sagt Milić. «Ich habe jedoch schon früh die Entscheidung getroffen, diese interdisziplinären Brücken zu schlagen, weil mich die Verflechtungen zu anderen Forschungsgebieten zutiefst interessiert haben.» Davon sei ihr aber in ihrer frühen Karriere oft eindringlich abgeraten worden. Oder ausgedrückt in Worten einiger ihrer älteren Kollegen: «Interdisziplinarität kann Karriereselbstmord bedeuten, wenn es nicht funktioniert». Für Milić war es aber möglich, ihren unkonventionellen Forschungs- und Karriereweg zu verwirklichen. Die talentierte Forscherin ist dafür sehr dankbar und auch für die Unterstützung, die sie auf ihrem Weg erhalten hat.

Unsichtbare Schwierigkeiten

Welche Hürden das Leben manchmal bereithält, sieht man dem Lebenslauf und den vielen Ehrungen und Auszeichnungen von Jovana V. Milić nicht an. Darauf angesprochen wird Milić im Gespräch nachdenklich: «Von aussen sieht alles immer grossartig aus, doch die Schwierigkeiten sind meist unsichtbar.» Die eingebürgerte Schweizerin kommt ursprünglich aus Serbien. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Osten hat das wissbegierige junge Mädchen die geopolitischen und turbulenten Entwicklungen im Balkan miterlebt. Begeistert von Naturwissenschaften und umgeben von unterstützenden Lehrpersonen hat Milić bereits in jungen Jahren an Wissenschaftswettbewerben teilgenommen und dabei Auszeichnungen und Stipendien gewonnen. Diese ermöglichten ihr finanziell, ein spezialisiertes Gymnasium für Mathematik und Naturwissenschaften zu besuchen und später zu studieren. Das Masterstudium an der ETH in Zürich war ebenfalls eine Herausforderung, da sie mit medizinischen Problemen kämpfte und ihre Familie keine Möglichkeit hatte, sie finanziell zu unterstützen.

In ihrer Familie ist Jovana V. Milić die erste Person, die eine akademische Laufbahn eingeschlagen hat. «Die Auszeichnungen und Stipendien haben mir ermöglicht, meine Karriere voranzutreiben», sagt Milić. Sie sei zudem immer so begeistert von dem gewesen, was sie gemacht habe, dass sie Fehlschläge nicht als Scheitern angesehen habe, sondern eher als Schritt auf ihrem eigenen Weg. Aufgrund ihres Weges ist sie entschlossen, anderen Personen zu helfen, damit diese sich nicht mit den gleichen Schwierigkeiten kämpfen müssen. «In der akademischen Welt gibt es manchmal diese Denkweise, dass wenn ich mich abgemüht habe, alle anderen sich auch abmühen sollten, um erfolgreich zu sein. Ich habe eine ganz andere Philosophie – ich möchte es anderen leichter machen, erfolgreich zu sein», sagt Milić. «Ich hatte grosses Glück, wie die Dinge für mich gelaufen sind, und ich wurde auf meinem Weg unterstützt. Also möchte ich auch für andere Menschen Chancen schaffen. Ich glaube, dass Erfolg das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen ist.»

Engagement für eine bessere Welt

Ist diese Denkweise vielleicht der Grund, warum sich Jovana Milić in so vielen Organisationen engagiert und äusserst aktiv ist? So ist sie unter anderem Präsidiumsmitglied in der Jungen Akademie Schweiz und gewähltes Mitglied bei der «Global Young Academy» und der «Young Academy of Europe». «Ja, ich möchte der Gemeinschaft etwas zurückgeben und andere Personen in ihrem Prozess unterstützen», bestätigt Milić. Das sei für sie aber nicht der einzige Antrieb: «Gleichzeitig leben wir in einer dynamischen Zeit und die Umstände in der Welt verändern sich schnell.» Geopolitische Krisen, Klimawandel und aufkommenden neuen Technologien betreffen uns alle direkt oder indirekt. «Ich fühle mich ein Stück weit verantwortlich, zu handeln als Wissenschaftlerin, aber auch als Bürgerin und als Mensch», sagt Milić.

Bei der Jungen Akademie Schweiz steht für sie die interdisziplinäre Perspektive im Fokus – insbesondere der Austausch mit den Sozialwissenschaften, der unter Naturwissenschaftlern oft zu wenig Beachtung findet, und mit der breiteren Gesellschaft jenseits der Wissenschaft. Ihr Ziel war und ist es, eine Plattform zu schaffen, bei der die Auseinandersetzung mit Wissenschaftspolitik, aber auch der Wissenschaftsdiplomatie im Fokus steht. «Leider sind nur sehr wenig Forschende, an politischen Entscheidungstischen anzutreffen – obwohl sie eine Menge an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Ratschläge anzubieten hätten», sagt Milić. Als Co-Sprecherin des Projekts «Swiss Young Network for Science Diplomacy und Policy (SYNESPOD)» arbeitet Milić daran, mehr Engagement- und Ausbildungsmöglichkeiten in der Wissenschaftspolitik zu kreieren. Besonders die Wissenschaftsdiplomatie liegt ihr am Herzen: «Bei allen diplomatischen Bemühungen gibt es immer wieder Barrieren, sei es Sprache oder Kultur. Aber die Sprache der Wissenschaft ist universell», sagt Milić. Sie glaubt deshalb, dass mit all den globalen Herausforderungen Wissenschaftsdiplomatie ein mächtiges Instrument für den Frieden sein könnte und setzt sich dafür ein, dass dieses Potenzial genutzt wird.

Jovana V. Milić, Jahrgang 1988, ist in Serbien aufgewachsen und hat Chemie an der Universität Belgrad, Serbien, und an der ETH Zürich studiert. 2017 hat sie ihr Doktorat in Chemie an der ETH abgeschlossen. Danach hat sie als Wissenschaftlerin im «Laboratory of Photonics and Interfaces» an der EPFL in Lausanne gearbeitet. Seit 2020 ist sie Gruppenleiterin am Adolphe-Merkle-Institut in Freiburg als «SNFS PRIMA Fellow» und seit 2021 ist sie Assistenzprofessorin an der mathematisch-naturwissenschaftlichen und medizinischen Fakultät der Universität Freiburg. Als «ERC Starting Grantee and Research Council of Finland Fellow» hat sie 2024 eine assoziierte Professur an der Universität Turku, Finnland, übernommen, wo sie die «Smart Energy Materials Group» leitet. Die engagierte, interessierte und begeisterungsfähige Wissenschaftlerin lebt momentan zusammen mit ihrer 3.5 Jahre alten Tochter und ihrem unterstützenden Mann in der Schweiz und in Finnland. Die eingebürgerte Schweizerin verbringt gerne Zeit mit ihrer Familie in der Natur und liebt Bücher, Musik und Sport.